»Technisches Handeln muss als soziales Handeln verstanden werden.«

G. Ropohl: Ethik und Technikbewertung Tweet

MINT und Werte

Verantwortungs­voll Lehren und Lernen

Wir sind angekommen im Zeitalter der Digitalisierung. Immer neue Technologien beeinflussen unsere Gesellschaft nachhaltig und verändern unsere Lebenswelt. Doch sind wir darauf vorbereitet? Um unsere Zukunft verantwortungsvoll mitgestalten zu können, werden nicht nur naturwissenschaftlich-technische Kompetenzen, sondern auch ein hoher Grad an Reflexionsvermögen über Zusammenhänge und Konsequenzen immer wichtiger. Mit unseren Bildungsaktivitäten wollen wir daher Werte und Haltungen fördern, die unser Handeln auf der individuellen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Ebene leiten können. Im Rahmen von Diskussionsforen und mit konkreten pädagogischen Ansätzen setzen wir uns für eine stärkere Verankerung der Wertebildung in den MINT-Fächern ein.

Sollte nicht Wissenschaft immer objektiv und wertfrei sein? – Ja, sollte sie! Doch erst durch eine anschließende Bewertung der Ergebnisse ist sie für unser Leben anwendbar. So definiert auch die OECD naturwissenschaftlich-technische Kompetenz nicht nur als die Fähigkeit, naturwissenschaftliches Wissen anzuwenden, sondern auch als die Kompetenz, auf Basis von Schlussfolgerungen Entscheidungen für das eigene Leben zu treffen (OECD 2017). Es geht also nicht nur um reines Wissen, sondern auch um seine Bewertung und anschließende Anwendung – auf individueller und sozial-gesellschaftlicher Ebene (vgl. Mandl, Kopp, Niedermeier, Meixner 2015).

Werte im Unterricht leben

Werte begreifen wir als „Fundament einer jeden sozialen Gemeinschaft“ (Menzel, 2013), als bewusste oder unbewusste Orientierungsstandards und Leitvorstellungen, von denen sich Individuen und Gruppen lenken lassen. Im naturwissenschaftlich-technischen Unterricht unterscheiden wir zwischen gegenstandsbezogenen und lernprozessbezogenen Werten.

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© Siemens Stiftung
  • Gegenstandsbezogene Werte sind Werte, die sich spezifisch auf die inhaltliche Dimension beziehen. Zum Beispiel: Können erneuerbare Energien Kohle-, Gas- und Atomstrom vollständig ablösen? Oder: Welche Chancen und Risiken bringt Gentechnik für die Landwirtschaft mit sich? Dabei geht es uns nicht darum, dass Schülerinnen und Schüler festgefahrene Bewertungen lernen, vielmehr sollen sie ein Bewusstsein über die Sachverhalte erlangen. Nur so können sie eine eigene Lebensperspektive entwickeln und schließlich kluge Entscheidungen für die Zukunft treffen.
  • Lernprozessbezogene Werte sind Werte, die beim gemeinsamen Agieren im Unterricht zum Tragen kommen. Das sind bespielsweise allgemeine Grundwerte des Zusammenlebens wie Toleranz, Teamorientierung oder Zuverlässigkeit. Sie fördern die persönliche Entwicklung und sind Basis für ein friedliches Zusammenleben.

Gerade das Bewerten und Reflektieren naturwissenschaftlich-technischer Sachverhalte kommt in der Schule oft zu kurz. Wertebildung ist häufig ausschließlich auf den Religions- oder Ethikunterricht begrenzt. Und das obwohl gerade Fächer wie Biologie, Physik, Informatik oder Chemie spannende und relevante ethische Fragen aufwerfen. Mit unserem Angebot möchten wir zur Gestaltung eines Unterrichts beitragen, der dazu anregt, über den Zusammenhang von Naturwissenschaft und Technik im gesellschaftlichen Kontext nachzudenken, diesen kritisch zu reflektieren und im Alltag konkret anzuwenden. Denn wir sind überzeugt: Junge Menschen brauchen heute mehr denn je einen Dreiklang aus Wissen, Fähigkeiten und Haltungen.

Wissen, Fähigkeiten, Haltungen

  • Wissen meinen wir im Hinblick auf Fachkenntnisse, interdisziplinäre Zusammenhänge und Methodenwissen. Denn kluge Entscheidungen können nur auf der Basis solider naturwissenschaftlich-technischer Kenntnisse und mit dem Verständnis für Zusammenhänge gelingen.
  • Aber Wissen alleine genügt nicht. Wir brauchen auch die Fähigkeit, mit Wissen umzugehen. Es geht um kognitive, soziale, emotionale und praktische Fähigkeiten, ohne die wir keine neuen Ideen entwickeln oder Lösungen finden können.
  • Auch Fähigkeiten alleine reichen nicht, wenn Werte und Haltungen fehlen, die unser Handeln auf der individuellen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Ebene leiten. Ein stabiles Wertegerüst hilft, Handlungsoptionen gegeneinander abzuwägen und verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen.

Wertebildung ist ein wichtiger Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Es ist uns ein Anliegen, früh für die ethischen Dimensionen des Handelns zu sensibilisieren sowie Zusammenhänge und Konsequenzen transparent zu machen.

MINT-Bildung im Dreiklang aus Wissen, Fähigkeiten und Haltungen ist dabei mehr als eine Antwort auf das Fehlen von qualifizierten Arbeitskräften, die Fachkräftelücke. Es geht um etwas Größeres: Um Bildungsgerechtigkeit und Partizipation, um die Verbesserung von Lebensqualität, gerade auch in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Nachgefragt

»Werte sind unerlässlich für die Zukunft unserer Gesellschaft.«

Dr. Heinz Mandl, emeritierter Professor vom Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, erklärt wie das Bildungsprogramm Experimento Wertebildung in den MINT-Unterricht integriert.

Unser Ziel ist es, Lehrende, Schülerinnen und Schüler sowie die Bildungspolitik gleichsam mit Projekten zur Wertebildung zu erreichen. Gemeinsam mit Kooperationspartnern entwickeln wir Konzepte und Handlungsansätze, um werteleitende Fragestellungen in den Unterricht zu integrieren. Gleichzeitig initiieren wir Foren zur Diskussion über dieses Thema.

Experimente mit Wertebezug

Im Vordergrund unseres Bildungsprogramms Experimento steht der Erwerb naturwissenschaftlich-technischen Wissens. Darüber hinaus haben wir in Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilians-Universität München explizit auf Wertebezug geachtet und ein mehrstufiges, altersgerechtes Konzept zur Werteentwicklung im MINT-Unterricht aufgebaut: Bereits die Kleinsten setzen sich gemeinsam spielerisch mit naturwissenschaftlichen Phänomenen auseinander und betrachten dabei Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen. Später werden die Fragestellungen komplexer. Wertefragen diskutieren die Schülerinnen und Schüler dann über Dilemmata. Hierbei gibt es keine richtige oder falsche Antwort. Im Vordergrund steht die Reflexion der eigenen Abwägung und Entscheidung.

Lehrmaterialien für den inklusiven MINT-Unterricht

Werte im Experimentalunterricht umzusetzen bedeutet für uns auch die differenzierte und individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler sowie die Wertschätzung der zunehmenden Unterschiedlichkeit der Lernenden. Deshalb haben wir für unsere Experimente auch zahlreiche inklusive Lehr- und Lernmaterialien entwickelt. Innerhalb eines Klassenverbunds bearbeiten alle Schülerinnen und Schüler denselben Themenbereich, während ein niederschwelliger Einstieg, gestufte Hilfen sowie vertiefende Teilaufgaben auf unterschiedlichem Niveau das jeweilige Arbeits- und Lerntempo berücksichtigen.

Service-Learning in den MINT-Fächern

Durch die Verbindung von schulischem Lernen im Unterricht und gesellschaftlichem Engagement – Service-Learning – können Schülerinnen und Schüler ihr Wissen aus den naturwissenschaftlichen Fächern in die Praxis umsetzen und dabei einen wertvollen Beitrag in die Gesellschaft einbringen. Dies festigt nicht nur die Lernleistung, sondern fördert gleichzeitig die Teamarbeit, zeigt die Sinnhaftigkeit von gesellschaftlichem Engagement und macht Werte erfahrbar. Eine umfangreiche Handreichung und ein interaktives Web Based Training liefern den Lehrkräften methodisches Grundwissen, zahlreiche Anregungen und erste Ideen zur Umsetzung.

„MINT und Werte“ im Wertebündnis Bayern

Unsere Konzepte und Methoden, die wir zur Wertebildung im MINT-Unterricht erarbeitet haben, bringen wir auch in das Projekt „MINT und Werte“ des Wertebündnis Bayern ein. Ziel des Projekts ist es, bayernweit Wertefragen stärker in den MINT-Unterricht von Grund- und weiterführenden Schulen zu integrieren und die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften entsprechend weiterzuentwickeln.

Dialogforum: Fachtagung MINT und Werte

Neben Konzepten und konkreten Handlungsansätzen halten wir es für unabdingbar, das Thema Wertebildung im MINT-Unterricht in die politische Diskussion einzubringen. Nur so kann Wertebildung in den naturwissenschaftlich-technischen Schulfächern verankert und deren Anwendung in der pädagogisch-didaktischen Praxis intensiviert werden. Daher stehen wir mit Vertretungen aus Wissenschaft und Politik in regem Austausch darüber, wie Wertebildung im Unterricht gelingen kann. Die Ergebnisse einer Fachtagung im März 2017 können Sie über die Veranstaltungswebseite abrufen.

Webseite

Hintergrundmaterial

N. v. Siemens: Wertebildung und die MINT-Fächer. Rede im Rahmen der TUM-Veranstaltung „MehrWert MINT“ (2018)

N. v. Siemens: Rede bei der Fachtagung MINT und Werte (2017)

B. Filtzinger: MINT und Werte: Fachwissen stärken und Orientierung geben. Artikel von Dr. Barbara Filtzinger (2017)

Die Zeit: „Mehr Diskussion!“. Interview mit Nathalie von Siemens (2017)

Eberhard Karls Universität Tübingen: „Wertorientierungen und Werterziehung von Lehrerinnen und Lehrern in Deutschland“ (2018)

Quellennachweis

H. Mandl, B. Kopp, S. Niedermeier, M. Meixner: Leitfaden „Naturwissenschaften, Technik und Werte“. Methoden zur Implementierung des Werteaspekts in den naturwissenschaftlich-technischen Unterricht mit Experimento | 8+. München (2015)

S. Menzel: Werte-Bildung im naturwissenschaftlichen Unterricht: Kein Widerspruch. In: M. Naurath, M. Blasberg-Kuhnke, E. Gläser, R. Mokrosch, S. Müller-Using (Hg.): Wie sich Werte bilden. (2013)

OECD (Hg.): How does PISA for Development measure scientific literacy? (2017)

G. Ropohl: Ethik und Technikbewertung. Frankfurt am Main (1996)