CHANGING PLACES / ESPACIOS REVELADOS in Peru

Trennlinien durchkreuzen

Das Kunstprojekt CHANGING PLACES / ESPACIOS REVELADOS verbindet drei Stadtteile in Lima, die vom Fluss Rímac getrennt werden.
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27 ortsspezifische Arbeiten luden bis März 2022 dazu ein, die Brücke zu überqueren – zu Fuß wie im Denken.
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Die Aktionen und Werke stellten aktiv öffentlichen Raum her; gerade an Orten, die verlassen sind oder übersehen werden.
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Die ehemalige Zentralpost wurde zum Begegnungsort, an dem Pandemie-Erfahrungen geteilt werden.
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Der Fluss Rímac verläuft auch unter dem zentralen Markt, mit dem sich die Aktion Corazón de Ciudad beschäftigt.
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An den Trennlinien der Stadt öffnete ESPACIOS REVELADOS / CHANGING PLACES 2021/22 in Lima neue ästhetische Erfahrungsräume. Künstlerinnen und Künstler zeigten neue Perspektiven auf ungenutzte Räume der 10-Millionen-Metropole und warfen dabei auch die Frage auf, wie Kunst gerade in Zeiten von pandemischen Kontaktbeschränkungen gemeinsamen öffentlichen Raum herstellen kann.

Es scheint paradox: Gesellschaften differenzieren sich immer weiter aus, Lebensstile werden vielfältiger. Dennoch wird die Stadt oft als Einheit verstanden. Doch welches Gemeinsame liegt der Stadt zugrunde? Welche Chancen ergeben sich für die Vorstellung und Entwicklung der Stadt, wenn künstlerische Arbeiten nicht nur als Events verstanden werden, sondern als kommunikative und räumliche Prozesse, die Konflikte produktiv werden lassen? Mit diesen Fragen startete das Projekt CHANGING PLACES in der peruanischen Hauptstadt.

Lima scheint wie eine Stadt aus unverbundenen Teilen, die sich unabhängig voneinander weiterentwickelt haben. Auch sozial und kommunikativ sind die Viertel oft voneinander getrennt. Jeder dieser Teile sucht seine Zukunft. Diese gesellschaftliche Kluft hinterlässt charakteristische Spuren im Stadtbild.

Wenn ungenutzte Räume zu Orten gemeinsamer Geschichten und Visionen werden: Eine Videoserie gibt Einblicke in die bisherigen Arbeiten von CHANGING PLACES / ESPACIOS REVELADOS in Lima.
© Siemens Stiftung

Besonders sichtbar wird das in den historischen Zentren an den Ufern des Flusses Rímac: Cercado de Lima und Barrios Altos auf der einen Seite, Rimac nördlich angrenzend auf der anderen Flussseite. Die ältesten Bezirke der Stadt erstrecken sich vom UNESCO geschützten Kulturerbe kolonialer Häuser bis zu den informellen Siedlungen an den Berghängen – eine Folge der intensiven Migration, die Lima in den letzten 30 Jahren erfahren hat.

27 Kunstprojekte beschäftigten sich hier mit sichtbaren und unsichtbaren städtischen Räumen und Gebäuden, die ungenutzt sind, übersehen werden oder sich bewusst dem Blick entziehen. Ziel war es, Aktionen und Werke zu initiieren, die öffentlichen Raum aktiv herstellen und Bewohnerinnen und Bewohner einladen, die Brücke zu überqueren – sinnbildlich und physisch. Wie lassen sich Verbindungen herstellen zwischen ungleichen Zentren, sozialen Schichten, Kultur und Natur? Wie werden Barrieren erfahrbar? Thematisiert wurden hier auch das Recht auf Kultur und die Bedeutung kultureller Dynamiken für die Erhaltung der Öffentlichkeit und des Gemeinwesens.

27 ortsspezifische Arbeiten luden dazu ein, die Brücke zu überqueren

Ab 12. November 2021 waren die entstandenen Arbeiten in einer fünfmonatigen Reihe zu sehen. Für je ein Wochenende im Monat zeigten Künstler*innen und Kollektive aus Peru, Mexiko, Brasilien und Spanien Installationen, performative Aktionen und architektonische Setzungen im öffentlichen Raum. Zum Auftakt der Reihe waren sechs Werke in drei Stadtteilen zu sehen: Eine alte Tabakfabrik wurde zum Begegnungsort; in der ehemaligen Zentralpost wurden Pandemie-Erfahrungen in Briefen geteilt; die heilenden Gesänge von Shipibo-Frauen luden ein zur Auseinandersetzung mit dem verschmutzten Fluss. Ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen wurden auf Straßen und Plätzen sichtbar, koloniale wie migrantische Erfahrungen rückten in den Fokus. Bewohnende der Stadtviertel um den Fluss arbeiteten gemeinsam mit Kunstschaffenden an einer sozialen Skulptur, schlugen eine symbolische Brücke über den Fluss oder stellten mit dem gemeinsamen Bau eines schlangenförmigen Gebäudes für Kinder in traditioneller Lehmbautechnik kollektives Gedächtnis wieder her. Die Arbeiten konnten individuell oder in mehreren Touren pro Tag kollektiv erlebt werden.

Künstler*innen und Kollektive: Comunespacio, Sandra Nakamura, elgalpón.espacio, estudio de arquitectura 24/7, DIADIA arquitectura, Oscar Pacheco und Proyecto Yivi (Mexiko), Al Borde, Angeldemonio Colectivo Escénico, Artefactum & La Comuna, Gonzalo Fernández, Más Cultura Más Peru, Andes Meki y Nemo, Colectivo Shipibas Muralistas, Carlos Troncoso & Karen Bernedo, Pilar Pedraza, Valeria Herrera & Sebastián Anglas, Javier Bravo de Rueda, Sebastián Montalvo, Daniel de la Barra, Panparamayo, Carlos León Xjimenez & Colectivo C.H.O.L.O.

Orte: Casa de Correos y Telégrafos, Trujillo-Brücke, Kirche San Lázaro, alte Fabrik der Backus-Brauerei, Alameda de los Descalzos, die die Balta-Brücke und den Conjunto Habitacional La Muralla verbindet, Alameda de los Descalzos, Correo Central, Plaza Italia, Colegio Real, Fábrica Backus, Jirón Andahuaylas, Mercado Central, Mercado y Plazuela del Baratillo, Jirón de la Unión, Hotel Bolívar, Puente Balta, Puente Trujillo, Feria de Libros Amazonas, Plazuela Revolver, Plazoleta de la Integración, Quinta Sr de la Justicia, Alameda de los Descalzos, Parque y Conjunto Habitacional La Muralla, Jirón Hualgayoc und Fábrica SIAM.

»Das gesamte Projekt ist sehr mutig und notwendig. Es zeigt, dass die Kunst nicht nur für die gebildeten Eliten da ist. Die Bewohner von Rimac, die an der Entwicklung der Projekte partizipierten, taten dies mit Begeisterung, weil sie sich gehört fühlten. Espacios Revelados half ihnen, ihre öffentlichen Orte in einem anderen Licht zu sehen, nämlich als ihre Orte, die es zu bewahren und pflegen gilt. Mich haben verschiedene Menschen gefragt, ob man die Kunstinterventionen nicht dauerhaft machen könnte. Wir wollen als Stadtverwaltung nun Projekte entwickeln zur Wiederbelebung traditioneller Plätze.« 

Victor Rojas
Kulturmanager des historischen Zentrums von Rímac und zuständig für interinstitutionelle Beziehungen

»Ich war noch nie bei einem Projekt dabei, bei dem so viele Künstler und Künstlerinnen gleichzeitig in Aktion waren. Wir haben gezeigt, was für eine lebendige Kulturszene Lima hat. Dadurch dass Espacios Revelados interdisziplinär ist, sind viele neue Verbindungen zwischen den Künstlerinnen und Künstlern entstanden. Der Publikumszuspruch, insbesondere zu den mehrstündigen Rundgängen, war gewaltig. Es existierte ein richtiger Hunger nach solch einer Veranstaltung.«

Paloma Carpio
Künstlerin, Kulturmanagerin, Professorin und Kuratorin von CHANGING PLACES in Lima

»Unser Projekt zeigt, dass es in der peruanischen Gesellschaft viel mehr relevante Stimmen gibt, als diejenigen, die immer öffentlich zu Wort kommen. Vor allem Frauen haben einen Erfahrungsschatz und ein Wissen, das nicht in der Öffentlichkeit auftaucht. Jahrzehntelang hatten sie keine Stimme, vor allem dann, wenn sie nicht die Normen erfüllten. Das ändert sich jetzt langsam. Dabei könnten die Frauen so viel an Wissen und Erfahrungen einbringen. Ich denke, dass man keine Stadt ohne die Vielfalt ihrer Bewohnerinnen und Bewohner konstruieren sollte.« 

Natalia Iguiñiz
Künstlerin, hat gemeinsam mit Gala Berger und Nancy La Rosa die Soundinstallation „Las Habladoras“ für CHANGING PLACES in Lima entwickelt

»Mir hat Espacios Revelados geholfen, Lima mit anderen Augen zu sehen. Es ist schon erstaunlich, wie wenig man am Ende seine eigene Stadt kennt, was natürlich einerseits mit ihrer Größe zu tun hat, andererseits aber auch mit den unsichtbaren sozialen Barrieren, die überall existieren. Ich nehme vor allem diese neuen Perspektiven und Eindrücke mit. Denn darum geht es ja, um einen Perspektivwechsel, dass man die Probleme der Stadt erkennt, aber auch ihre riesigen und leider oftmals verschütteten Möglichkeiten.« 

Álvaro Rodriguez
Architekt, Besucher von Espacios Revelados

Das Projekt in Lima begann 2019 mit einer umfangreichen Recherche zu ungenutzten urbanen Räumen, leerstehenden Gebäuden und ihren sozialen Kontexten, Fragen nach Ausschluss und Teilhabe spielten ebenso eine Rolle wie Aspekte des materiellen und immateriellen Kulturerbes. Zum Auftakt des Projekts fand von Juni bis Dezember 2020 eine monatliche digitale Dialogreihe statt. Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen setzten sich dabei mit der Rolle von Kunst und Kultur im Kontext der Krise auseinander, mit Märkten als urbanen Räumen der Produktion, des Konsums und der Begegnung, mit Ungleichheit in der Stadt und Zugang zu gemeinsamen Gütern. Ebenso diskutierten sie über nachhaltige Stadt und das Verhältnis von Urbanität und Natur und tauschten sich über vulnerable Bevölkerungen und eine inklusive Stadt aus.

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Einen Einblick zur ersten Dialogreihe gibt das Kompilationsvideo.

© Siemens Stiftung

Die digitalen Konferenzen erreichten via Facebook 30.000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Während der Pandemie wurden außerdem 21 Videos künstlerischer Erfahrungen zu diesen Themenblöcken publiziert. Nach einer Ausschreibung für künstlerische Ideen zu konkreten Stadtteilen wählte eine Jury 18 Positionen aus Peru ausEin Diskurs-Programm mit Vorträgen und Diskussionen zur Kontextualisierung der Projekte fand über 8 Monate jeweils für ein Wochenende zwischen Mai und September 2021 stattDie Projekt-Aktivitäten wurden außerdem von einem Beirat und Forschungsarbeiten der Universidad  Nacional de Ingenería zu den ausgewählten Orten begleitet. 

In Zusammenarbeit mit:

Municipalidad Metropolitana de Lima, Gerencia de Cultura y el Programa Municipal para la Recuperación del Centro Histórico – PROLIMA, Municipalidad del Rímac, Ministerio de Cultura, Centro Cultural de la Universidad Mayor de San Marcos, Escuela Nacional Superior Autónoma de Bellas Artes, Goethe-Institut Peru, Beneficencia de Lima, dem Museo de los Descalzos, Revista Devenir, Ícomos Perú, Yuyai-UNI u. a.