Wachstumsmotor Nachhaltigkeit

Kenia strebt eine Zukunft an, in der sich kräftiges Wirtschaftswachstum und die Verbesserung des Lebensstandards mit Nachhaltigkeit verbinden. Die Fehler der Industrienationen will Kenia auf dem Weg zur Entfaltung seines wirtschaftlichen Potentials direkt überspringen. Wie können Entwicklungskooperationen und neue Förderansätze dabei unterstützen? Nina Smidt, Vorständin der Siemens Stiftung, ist überzeugt: Ein sinnvolles Instrument kann die Förderung von Sozialunternehmen sein. Eine Reportage von Projekten in einem Land, das versucht, nachhaltig und ohne Umwege seine Wirtschaftskraft zu entwickeln.

Energisch hebt Elizabeth Atieno den Arm und zeigt auf graue Wellblechhäuser, hier in Katito, einer Kleinstadt in Kisumu County am Viktoriasee im Westen Kenias. Sie ist Chief der Gemeinde, die nationale Regierungsbeamtin des Gebiets, und will Katitos Zukunft gestalten – sozial und nachhaltig. „Nur in jedem vierten Haus wohnt ein Mann“, merkt sie an. Sie seien weggezogen in chancenreichere, größere Städte und hinterließen die Familie in der Obhut der Frauen zurück. Diese Frauen verbessern das Familieneinkommen durch Subsistenzlandwirtschaft und Kleinbetriebe. 100 bis 150 Kenianische Schilling verdienen sie durchschnittlich am Tag.

„Allein die tägliche Anlieferung von sauberem Trinkwasser kostet aber schon 100 Schilling. Für Lebensmittel reicht das Geld kaum noch“, Elizabeth Atieno spricht lauter, wird wütend. Leider sind diese Haushalte auf das Wasser der örtlichen Flüsse angewiesen, aus denen auch das Vieh trinkt. Die Flüsse sind mit Substanzen und Spuren von Düngemitteln verseucht, die von den Feldern erodieren. In der Region liegt die Kindersterblichkeit bei 14 Prozent und das ist noch nicht einmal die schlechteste Quote im Land. Die häufigsten Todesursachen: Diarrhoe, Cholera, Typhus – verursacht durch unsauberes Trinkwasser.

Trinkwasserkiosk von WeTu, © Siemens Stiftung

Natürlich habe sie deshalb in der Gemeinde für den Bau des Trinkwasserkiosks geworben, sagt Atieno. WeTu, ein Sozialunternehmen der Siemens Stiftung, baut in Katito nun den 13. solarbetriebenen Energie-Kiosk auf – einen von insgesamt 19 WeTu Hubs, die um den Viktoriasee bis 2025 entstehen sollen und neben sicherem Trinkwasser Produkte und Dienstleistungen anbieten wie batteriebetriebene Fischerlaternen, Elektromotorräder, Elektroschrott Recycling oder die Herstellung von Eis zur Verbesserung der Kühlketten und zur Verringerung der Ernteverluste. 6000 Liter Trinkwasser sollen allein in Katito täglich ausgegeben werden, zu günstigsten Preisen. WeTu hat Dorfvorsteherin Atieno in die Preisgestaltung einbezogen.

„Wir arbeiten immer sehr eng mit verschiedenen Interessengruppen aus den lokalen Gemeinschaften zusammen, da sie die besonderen Umstände besser kennen als wir. Dies ist wichtig, um den richtigen Ansatz für die Menschen und den Erfolg der Organisation zu entwickeln“, betont Tilmann Straub, Projektleiter Social Ventures der Siemens Stiftung, der seit der Gründung von WeTu im Januar 2019 auch als Geschäftsführer des Sozialunternehmens in Kenia agiert. Noch, denn nach der Gründungsphase wird seine Position, wie derzeit alle anderen, lokal besetzt werden.

WeTu ist für die Siemens Stiftung ein Novum, sie geht als deutsche Stiftung in die Rolle der aktiven Gesellschafterin eines Sozialunternehmens. „Als aktive Gesellschafterin gehen wir unternehmerisches Risiko ein. Es ist ein Pilotprojekt für die gesamte Stiftungslandschaft“, sagt Dr. Nina Smidt, Vorständin der Siemens Stiftung. „Wir sind überzeugt von diesem nachhaltigen, langfristigen Ansatz. Denn er verankert die Unternehmen fester in den Communities, sodass die Betriebe nach dem Ausstieg der Stiftung profitabel weiterarbeiten können.“ Selbständige Sozialunternehmen unterstützen, statt Abhängigkeiten von Fördergelder zu generieren, ist das Ziel.

Solarbetriebener WeTu Hub, © WeTu/Siemens Stiftung

„Für uns ist es wichtig, soziale Wirkung zu erzielen und nicht nur Gewinne. Um dies zu erreichen, arbeiten wir mit unterschiedlichsten lokalen Stakeholdern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen“, beschreibt Smidt die Strategie. Wie lange braucht ein Sozialunternehmen, um sich zu tragen? „Solch ein Ansatz ist nicht innerhalb von zwei Jahren profitabel. Dann müsste WeTu sich einzig auf Gewinnmaximierung fokussieren, aber neben der Wirtschaftlichkeit geht es schließlich auch um die soziale Komponente“, so Smidt. Sie rechnet mit fünf Jahren, bis das Unternehmen in lokale Führung übergeben werden können.

Die Agenda 2030, in der die Weltgemeinschaft die 17 Nachhaltigkeitsziele verankert hat, ist breit angelegt – von Armutsbekämpfung über Bildungsgerechtigkeit bis zu Klimaschutz. Entsprechend groß ist die Bandbreite nachhaltigen Wirtschaftens durch Sozialunternehmen.

Bei WeTu zum Beispiel gehört neben der Verwendung regenerativer Energien ebenso die Schaffung von Arbeitsplätzen mit Krankenversicherungsschutz und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Gleichberechtigung von Frauen dazu. Bis heute liegt der Frauenanteil der 42 geschaffenen Arbeitsplätze in dem Sozialunternehmen bei 30 Prozent. Auch wenn Finanz- und Personalleiterin Julia Akinyi schwer weibliche Mitarbeiterinnen findet, besonders für Managementpositionen.

Nachhaltigkeit in Kenia

  • In Kenias Verfassung ist das „Recht auf saubere und gesunde Umwelt“ als Grundrecht verankert.
  • Kenia gewinnt fast 70% seiner Energie aus erneuerbaren Quellen.
  • Mit dem „Environmental and Land Court“ wurde ein spezielles Gericht für Umweltschutzangelegenheiten etabliert.
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Vom Dorfleben ins Management

Julia Akinyi, Finanz- und Personalmanagerin bei WeTu, erzählt ihren Weg durch eine Männerwelt

„Ich bin auf dem Land aufgewachsen und kenne die Herausforderungen, mit denen junge Mädchen konfrontiert sind – besonders beim Wasserholen, denn dies ist in der Regel ihre Aufgabe. Wenn ich von der Schule am Nachmittag nach Hause kam, nahm ich als erstes den Kanister und bin 5 km zum Wasser gegangen, danach musste ich nach Feuerholz suchen. Mädchen werden bei diesen Arbeiten häufig sexuell belästigt. Aber das Thema ist noch ein Tabu, niemand spricht darüber. Wenn wir Trinkwasser in den Dörfern zu günstigen Preisen abgeben, können solche Vorfälle vermieden werden. Deshalb tragen Wasserkioske aus meiner Sicht auch den Aspekt von Gleichberechtigung in sich.“

Für Julia Akinyi war der Weg aus dem Dorf in das Management eines Sozialunternehmens nicht leicht. „Ich bekam in erster Linie Unterstützung von meiner Mutter. Ich sah, wie sie auf dem Feld für uns vier Kinder arbeitete, während ich als Zweitälteste mit acht Jahren auf die kleineren Geschwister aufpasste. Sie bat mich zu lernen und zu studieren, um die Familie eines Tages aus diesem Leben herausholen zu können.  Meine Schulnoten waren gut, ich wollte an der Universität Mikrobiologie studieren, aber wir besaßen das Geld für die Studiengebühren nicht. Stattdessen belegte ich einen Computerkurs bei der Anglikanischen Kirche, arbeitete im Anschluss dort im Büro und sparte mein Gehalt, um darauf einen Kredit für eine Abendschule aufnehmen zu können.“

Mit 20 Jahren zog Julia Akinyi nach Nairobi, arbeitete tagsüber, studierte abends Buchführung. „Certified Public Accountant of Kenya“ – die höchste Qualifikation, die es in Buchführung in Kenia gibt. Neben den Finanzen verantwortet sie bei WeTu auch den Personalbereich, belegte vom Unternehmen bezahlte Human Ressource Kurse an der Universität. „WeTu ist nicht nur eine Karrierechance für mich, sondern ich bin glücklich, dass ich dort im Management die Möglichkeit habe, Aufmerksamkeit auch auf Frauenthemen zu lenken.“

Es ist 6 Uhr morgens, Julia Akinyi steht im kleinen Hafenort Nyachebe Beach und schaut auf die voll beladenen Fischerboote. Nachts locken die Fischer mit den batteriebetriebenen Speziallampen von WeTu kleine Omena-Fische an, die in der Region zur täglichen Ernährung gehören.

Nun entladen Frauen in der Morgendämmerung die Boote, tragen den Fang zur Trocknung fort. Doch ihr Verdienstanteil ist verglichen zu dem der Fischer und Bootsbesitzer marginal. Die 33-Jährige seufzt. „Afrikanische Frauen haben oft Angst, im Wettbewerb mit Männern um höhere Positionen nicht bestehen zu können“, erklärt die Mutter eines Sohnes und einer Tochter. Manche von ihnen würden nicht glauben, dass auch sie fähig wären, Fischerin oder Bootsbesitzerin zu sein, und damit den größeren Teil des Geldes einzunehmen. Deshalb sei eine gute Schulausbildung so wichtig, denn sie schaffe Selbstvertrauen.

Frauen mit getrocknetem Fisch, © WeTu

 Nun entladen Frauen in der Morgendämmerung die Boote, tragen den Fang zur Trocknung fort. Doch ihr Verdienstanteil ist verglichen zu dem der Fischer und Bootsbesitzer marginal. Die 33-Jährige seufzt. „Afrikanische Frauen haben Angst, im Wettbewerb mit Männern um höhere Positionen nicht bestehen zu können“, erklärt die Mutter eines Sohnes und einer Tochter. Viele von ihnen würden nicht glauben, dass auch sie fähig wären, Fischerin oder Bootsbesitzerin zu sein, und damit den größeren Teil des Geldes einzunehmen. Deshalb sei eine gute Schulausbildung so wichtig, denn sie schaffe Selbstvertrauen.

Für die Gestaltung einer nachhaltigen Gesellschaft ist besonders das Lehren von MINT-Fächern essentiell, so Nina Smidt. „Für Mädchen wie Jungen führt der Weg im Zeitalter der Digitalisierung, in der immer neue Technologien Gesellschaften beeinflussen, über naturwissenschaftlich-technische Kompetenzen hin zu einem Arbeitsplatz und zu einer nachhaltigen, verantwortungsvollen Mitgestaltung ihrer Gesellschaft, ihres Kenias“, unterstreicht Smidt die Schlüsselfunktion der MINT-Fächer.

In Nyachebe Beach werden am Nachmittag junge Männer, manche bereits mit E-Bikes, den getrockneten Fisch zum Verkauf fahren. WeTu verleiht an einzelnen Standorten elektrische Boda Bodas, die von dem schwedisch-kenianischen Sozialunternehmen Roam (ehemals Opibus) in lokaler Produktion in Nairobi hergestellt werden. Boda Bodas ist der kenianische Begriff für Motorrad-Taxis. „Roam und WeTu haben von Anfang an bei der Pilotierung von E-Mobility in Homa Bay zusammengearbeitet. Die Kooperation ist beispielhaft für das Entstehen von Netzwerken, in denen durch gemeinsames Handeln systemischer Wandel angestoßen werden kann“, so Nina Smidt.

Elektrisches BodaBoda, © WeTu/Siemens Stiftung

Nachhaltiges Wirtschaften geht selten im Alleingang:  Ökosysteme entstehen, unterschiedlichste Akteur*innen vernetzen sich – von Sozialunternehmen bis hin zu Regierungsvertreter*innen. Auch Evans Origa, Produktionsmanager bei Roam, gehört zu diesem Netzwerk. Der Mechaniker hat bis vor kurzem im Technischen Center bei WeTu in Homa Bay gearbeitet, doch mit der Aufnahme seines Abendstudiums zum Automobilingenieur ist der 35-Jährige nach Nairobi gezogen. Am Vormittag seien Regierungsvertreter*innen auf das Fabrikgelände nahe des Hauptstadt Flughafens eingeladen worden, berichtet er. Man sucht eine Zusammenarbeit, denn die Busse Nairobis sollen mittelfristig auf Elektroantrieb umgestellt werden. Origa zeigt auf einen grauen Bus im Fabrikhof. „Ride Electric“ steht in oranger Schrift darauf geschrieben. Er ist ein Prototyp, ein Versuchsprojekt für die Umwandlung auf elektrischen Antrieb. 10 Landcruiser wurden bereits auf Batteriebetrieb umgestellt. Zusätzlich wurden 150 neue elektrische Motorräder gebaut. Die Siemens Stiftung wiederum multipliziert die Erfahrungen aus dem WeTu E-Mobility Projekt und geht mit einem anderen Verständnis an ein weiteres E-Mobility-Projekt in Ghana. 

Denn obwohl Afrika bislang nur 3,8% der globalen Treibhausgasemissionen verantwortet, wachsen die Emissionen des Transportsektors mit sich entwickelnder Wirtschaft auf dem Kontinent um jährlich 7%. Laut aktuellen Prognosen wird sich aufgrund von steigendenden Lebensstandards und Bevölkerungswachstum der Energiebedarf auf dem Kontinent bis zum Jahr 2040 fast verdoppeln. Über 1,2 Mio. meist junge Männer betreiben Boda Boda Taxis in Kenia. Noch lebt ein Drittel der Bevölkerung Kenias unterhalb der Armutsgrenze, besonders Arbeitsplätze für junge Menschen fehlen. Die Motorrad Taxi Industrie ist der größte und wichtigste Arbeitgeber Kenias. Doch der Verleih der E-Bikes ist für WeTu mit vielen kleinen Hürden gespickt: so besitzen zum Beispiel viele Boda Boda Fahrer keinen Führerschein, sie brauchen ihn nicht zur Registrierung, wohl aber verlangt die Versicherung der Fahrzeuge den Nachweis. Solch ein Realitätscheck des Geschäftsmodells lässt sich nur vor Ort vornehmen, erklärt WeTu Geschäftsführer Tilmann Straub. „Wir überlegen gerade, ob wir eine vorübergehende Reduktion der Leihgebühren vornehmen und den Fahrern damit die Führerscheinprüfung bezahlen.“ Das ist es, was Sozialunternehmen ausmacht.

Kenias Entwicklungsstrategie

2008 hat die kenianische Regierung ihre Entwicklungsstrategie „Vision 2030“ vorgelegt. Bis zum Jahr 2030 soll sich Kenia zu einem industrialisierten Land mit mittlerem Einkommen entwickeln. Als Umsetzungsinstrumente dienen Fünf-Jahres-Pläne. Die Regierung ist bemüht, ihre nationale Strategie mit den globalen Entwicklungszielen der Agenda 2030 zu verzahnen, so soll Kenia ein Land mit sauberer, sicherer und nachhaltiger Umwelt sein.

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Alles im grünen Bereich

Warum sich Afrika rasant nachhaltig entwickelt, weiß Tilmann Straub, Projektleiter Social Ventures der Siemens Stiftung

„Wie grün, wie nachhaltig kann sich Kenia entwickeln? Das ist eine sehr interessante Frage. Derzeit sind in Kenia fast 70% Prozent des Stroms grün, der Großteil stammt aus Erdwärme, dazu kommt Wasserkraft und Solarenergie. Es besteht die Chance, dass das Land sich auch in anderen Bereichen nachhaltig entwickelt. Dabei können viele Generationen technologischer Entwicklungen direkt übersprungen werden. In Kenia gab es beispielsweise auf dem Land nie ein Telekommunikationsfestnetz. So wurden die Schritte vom Festnetz über Router, die in Europa gemacht wurden, übersprungen und gleich mobile Lösungen angewendet. Oder nehmen wir das mobile Bezahlsystem ‚M-Pesa‘. In den extrem armen Dörfern, wie zum Beispiel am Viktoriasee, haben nur wenige ein Bankkonto. Aber alle haben M-Pesa, damit können sie über ihren Telefonanbieter alles bezahlen – von der Mango am Marktstand bis hin zur Motorradtaxifahrt. In Deutschland wäre das vergleichbar mit PayPal, ein verhältnismäßig neuer Anbieter – der aber auch lediglich in Verbindung mit einem Bankkonto funktioniert. M-Pesa gibt es hingegen schon seit 2007.“

Die gute digitale Infrastruktur kommt auch den WeTu Projekten zugute. „Relevante Daten wie die Verkaufszahlen der Wasserkioske erhalte ich lückenlos auf mein Mobiltelefon übertragen, so können wir die Projekte jederzeit online überwachen und entsprechend steuern. Während in Kenia durchschnittlich bis zu 40 % der Wassereinnahmen aufgrund von Lecks oder illegalen Leitungsanschlüssen ausbleiben, was viele Projekte unrentabel werden lässt und zu ihrem Scheitern führt, macht die digitale Transparenz sie wirtschaftlich tragfähiger und damit nachhaltiger. Doch neben der digitalen Fortschrittlichkeit gibt es in Kenia großen Nachholbedarf in fast allen anderen Bereichen wie der Infrastruktur, Hygiene, Lieferketten, Bildung etc. und die gilt es nun nachhaltig zu verbessern.“

Doch – allgemein gesprochen – wo hört Sozialunternehmertum auf, wo beginnt reines Unternehmertum? „Die Shareholder*innen dürfen bei einem sozialunternehmerischen Ansatz keine Gelder aus dem Unternehmen nehmen und sich Dividenden zahlen, Gewinne verbleiben im Unternehmen und dienen damit dem Wachstum des Unternehmens und des Landes“, so Smidt. Die Gelder fließen so direkt in die wirkungsorientierte Arbeit des jeweiligen Sozialunternehmens.

Nina Smidt im Gespräch mit North Star Alliance, © Siemens Stiftung

Ein Beispiel ist die North Star Alliance, eine konventionelle NGO, die sich über Zuschüsse und Subventionen finanziert. North Star Alliance engagiert sich seit 2006 für die Gesundheitsversorgung in afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Dazu gehören allgemeine Gesundheits-untersuchungen, Behandlungen und Informationen über eine Vielzahl von Krankheiten – darunter Tuberkulose, sexuell übertragbare Infektionen, HIV und COVID-19 – für schwer erreichbare Gruppen wie Fernfahrer*innen, Sexarbeiter*innen und Gemeinden in Verkehrsschneisen.

Bis heute wurden mehr als zwei Millionen Menschen in den 27 Blue-Box-Kliniken von North Star Alliance behandelt, deren Netzwerk sich über zehn Länder erstreckt. In der Mlolongo Blue Box Clinic ist das Wartezimmer voll: Täglich kommen 100 Patient*innen in die Klinik, die in einem umgebauten Schiffscontainer an der Hauptstraße zwischen Mombasa und Nairobi untergebracht ist. Die Organisation erhielt kürzlich finanzielle Unterstützung durch das empowering People. Network der Siemens Stiftung, um sich an die durch COVID-19 veränderten Bedingungen anzupassen.

Doch Eva Mwai, Direktorin von North Star Alliance, will sich mittelfristig unabhängiger von Fördergeldern machen. „Ich möchte ein Gesundheitssystem schaffen, das in der Lage ist, sich selbständig zu erhalten, wir müssen alternative Finanzierungsmodelle diskutieren, vielleicht hybride Modelle, die neben dem normalen kostenlosen Angebot privat zu zahlende Zusatzleistungen wie Labordienstleistungen, Ultraschall etc. anbieten“, ihre Worte sind kaum zu verstehen, so laut ist der Verkehrslärm – 700 Lastwagen donnern hier täglich vorbei.

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Die drei Ebenen der Nachhaltigkeit

Eva Mwai, Direktorin North Star Alliance, skizziert ein gesundes Gesundheitssystem

Für Eva Mwai von der Gesundheits-NGO North Star Alliance hat ein nachhaltiges Gesundheitssystem verschiedene Aspekte: „Ich sehe Nachhaltigkeit mit drei unterschiedlichen Augen: mit einem sozialen, einem finanziellen und einem operationalen. Soziale Nachhaltigkeit bedeutet für mich, unserer Zielgruppe Leistungen langfristig in einem Gesundheitssystem anbieten zu können, das von den Gemeinden und von den Menschen unterstützt und angenommen wird. Es ist aber auch ein System, das in der Lage sein muss, sich finanziell und operational eigenständig und nachhaltig zu tragen und zu erhalten.“

Weiter nördlich, am Stadtrand Nairobis, liegt Kiambu, hier gibt es wenig Lastwagen, stattdessen Kaffee- und Teeplantagen. Doch hinter einem großen Stahltor hört die Idylle auf, finden sich die Spuren der Großstadt: Riesige Müllhaufen, Förderbänder, Häckselmaschinen – die Recyclinganlagen von Daniel Paffenholz, einem der größten Müllentsorger Kenias. Der Sozialunternehmer gründete im Jahr 2011 TakaTaka Solutions: Täglich recyclen 500 Angestellte (Frauenanteil 48%) 60 Tonnen von Nairobis Müll, den sie von 1000 selbständigen Müllsammler*innen angeliefert bekommen. Recyclingquote 95 Prozent.

„Wir sind das einzige Recyclingunternehmen, das in Kenia die gesamte Wertschöpfungskette abbildet“, sagt Paffenholz, der seit der Unternehmensgründung mehrfach Unterstützung von der Siemens Stiftung erhielt, zuletzt im Rahmen des Covid-19 Resilience Calls. Der Pfaffenholz ist studierter Philosoph, will soziale und ökologische Verantwortung mit Unternehmertum verbinden. Damit die Müllsammler*innen nicht ihre Kinder mit zur Arbeit auf die Müllkippen bringen, hat er bereits in Mombasa einen Firmenkindergarten gegründet, ein weiterer soll in Nairobi folgen. Außerdem subventioniert er Schulgebühren.

Recycling bei TakaTaka Solutions, © Siemens Stiftung

Paffenholz’ Unternehmenspläne sind groß: Expansion nach Kampala/Uganda in 2023, die kenianische Provinz soll folgen; eine Textil Recyclinganlage und eine neue Siebanlage für Kompost befinden sich im Bau; Verdopplung der Recyclingkapazitäten bis 2023.

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Liegt die Zukunft im Müll versteckt?

Ja, glaubt Daniel Paffenholz, Gründer und CEO von Taka Taka Solutions, und beschreibt, wie Recycling zu Arbeitsplätzen und Schulbildung führt

„Eine nachhaltige Abfallwirtschaft befindet sich in Kenia noch in der Anfangsphase, man braucht eigentlich nur einen alten Lastwagen, sammelt gegen Entgelt Müll – natürlich ungetrennt – und bringt ihn zur Deponie. In den ärmeren Gegenden gibt es noch gar keine Müllsammlung, die Menschen vergraben oder verbrennen ihre Abfälle. Von den 200 Müllunternehmen sind 100 illegal und nicht bei der Umweltbehörde registriert. Versucht man die gesamte Wertschöpfungskette von Sammlung, Sortierung, Kompostierung, Recycling anzubieten, dann wird das Geschäft extrem komplex und weniger attraktiv. Man muss bereit sein, sehr langfristig zu denken, hohe Risiken einzugehen und nicht sofort Geld verdienen zu wollen. Das führt dazu, dass wir in Kenia als einziges Unternehmen die gesamte Wertschöpfungskette anbieten. Viele Kenianer mögen Geschäftsmodelle, die wenig Risiko beinhalten, die Leute sind häufig nicht aus Leidenschaft Unternehmer, sondern weil sie keine andere Erwerbsmöglichkeit haben. So suchen sie nach Geschäftsbereichen mit geringen Eintrittsbarrieren in relativ gesicherten Märkten.

Zu Beginn waren wir ausschließlich in der Mülltrennung tätig, da wir jedoch für viele Wertstoffe keine Abnahmemärkte hatten, stiegen wir schließlich selbst ins Recycling ein. In den kommenden zwölf Monaten wollen wir eine doppelt so große Recyclingfabrik aufbauen, dann können wir unsere Volumina erhöhen. Außerdem beginnen wir jetzt mit Sammlung, Sortieranlage und Recycling in Mombasa. 2023 folgt ein Pilotprojekt in Ugandas Hauptstadt Kampala mit einem Müllankaufzentrum und einer kleinen Recyclinganlage. Wir haben auch noch die Idee in Kenias ländlichen Gebieten Frauen als Micro-Franchisenehmerinnen anzuwerben, die von uns einen Kredit und Training bekommen. Sie kaufen dann recyclebare Materialien an und zahlen uns den Kredit über Müll zurück.“

Außerdem möchte Paffenholz gezielt Frauen fördern. „Wir haben auch noch die Idee in Kenias ländlichen Gebieten Frauen als Micro-Franchisenehmerinnen anzuwerben, die von uns einen Kredit und Training bekommen. Sie kaufen dann recyclebare Materialien an und zahlen uns den Kredit über Müll zurück“, erzählt Paffenholz.

Über solch ein Angebot würde sich Elizabeth Atieno aus Katito für die Mütter ihrer Gemeinde freuen. „Ich wünsche mir“, sagt sie, „dass wir in Zukunft kein Kind mehr durch unsauberes Wasser verlieren und, dass die Frauen arbeiten gehen können, damit sie den Kindern Trinkwasser und eine ausgewogene Ernährung ermöglichen können.“ Eine Zukunft, die nur gemeinschaftlich erreichbar ist. „Verbunden in Netzwerken, kooperierend, können große soziale, wirtschaftliche und nachhaltige Ziele umgesetzt werden“, so Nina Smidt. Eine nachhaltige Wirtschaft trägt viele Gesichter.