Badin Borde, Photographer: Cléber De Paula and Leonardo De Paula

»Nur im Verbund unseres inter­nationalen Netzwerks können wir nachhaltige Impulse im globalen Bildungssystem setzen.«​

Badin Borde, Projektleiter Internationale Netzwerke

Lokale Akteure – international vernetzt

Sie bündeln Wissen und Informationen, verbinden Menschen, Initiativen, Organisationen – Netzwerke gewinnen in allen Bereichen an Bedeutung. Die Siemens Stiftung greift den Netzwerkgedanken in unterschiedlichster Weise auf: Von digitalen Bildungsprogrammen bis hin zur Organisation ganz physischer Treffen von Netzwerkakteuren. So kommen alle zwei Jahre beim „International Dialogue on STEM Education (IDoS)“ 100 internationale Fachleute zusammen, um sich über ihre Arbeit im Bereich frühkindlicher Bildung auszutauschen. Im Interview erklärt Badin Borde, wie Bildungsnetzwerke bei der Siemens Stiftung geformt und eingesetzt werden.

Herr Borde, im Arbeitsgebiet Bildung der Siemens Stiftung gibt es seit einem Jahr mit Ihnen einen Verantwortlichen für internationale Netzwerke.

Ja, denn Netzwerke sind ein Kernelement der Arbeit der Siemens Stiftung, nur im Verbund unseres internationalen Netzwerks können wir nachhaltige Impulse im globalen Bildungssystem setzen. Aber Netzwerke sind komplex. Vom internationalen bis zum lokalen Akteur – jeder hat unterschiedliche Interessen, Standpunkte und Rollen, die in der Netzwerkarbeit berücksichtigt und zusammengeführt werden müssen.

Hinzu kommt, dass die einzelnen Netzwerke der Siemens Stiftung sehr unterschiedlich ausgerichtet sind...

Einerseits bauen wir zum Beispiel durch das Projekt „STEAM Territories“ lokale Akteur-Netzwerke in Lateinamerika auf, also im Bildungsbereich Science, Technology, Engineering, Arts und Mathematics. Andererseits sind wir aber auch Teil nationaler und internationaler Bildungs-Netzwerke, in denen unter anderem die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“, die Technische Universität München, das „Office for Climate Education“(OCE) und die UNESCO verankert sind. Als Schnittstelle begleite ich diese operativ und strategisch, strukturiere und verknüpfe Netzwerke zu einem internationalen Geflecht, dadurch wird die Erfahrung Einzelner allen zugänglich und führt entsprechend zu einem größeren Impetus.

Wie wirken Netzwerke im Bildungsbereich?

Netzwerke haben verschiedene Vorteile: Sie können den inhaltlichen Austausch fördern, wie dies zum Beispiel im Rahmen der IDoS, die wir zusammen mit dem „Haus der kleinen Forscher“ veranstalten, auf internationaler Ebene geschieht, so dass Akteure voneinander lernen können. Ebenso kann durch inhaltlich aufeinander aufbauende Verknüpfung einzelner Initiativen ein Mehrwert geschaffen werden. Dies entspricht dem Grundprinzip von Bildung: Kindergarten – Schule – Hochschule – lebenslanges Lernen – es geht immer um die sukzessive Verbindung von Wissen. Dieser Gedanke ist die Grundlage für unsere Arbeit in den STEAM Territories. Des Weiteren sind Netzwerke, die einen thematischen Schwerpunkt haben wie zum Beispiel Klimawandel oder Digitalisierung, für uns wichtig. Durch sie werden Ressourcen zu einem Thema gebündelt, wie dies unter anderem in der Zusammenarbeit mit dem „Office for Climate Education (OCE)“ geschieht.

Sie arbeiten auch mit den STEAM-Territorien in Lateinamerika zusammen, erzählen Sie uns mehr darüber.

Mit unserem Konzept der STEAM Territories bauen wir lokale Netzwerke mit strategischen und operativen Partnern aus Zivilgesellschaft, Staat, Wissenschaft und Wirtschaft auf, um im lokalen Bildungssystem gemeinsam zu wirken. STEAM Territories sind Akteur-Netzwerke, die Bildungsprogramme in STEAM durchführen. In Lateinamerika gibt es von Mexiko bis Chile auf unsere Initiative hin bereits sechs STEAM Territories, die sowohl in Größe als auch thematisch variieren. Der räumliche Ansatz hilft, Akteure zu definieren und diese später in einem Feld zu verbinden. Bildungsinnovationen, die aus den lokalen Kontexten entstehen, werden auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene kommuniziert und an andere Kontexte angepasst. So wird beispielsweise auch unser Programm Experimento, das internationale MINT-Bildungsprogramm für einen praxisorientierten naturwissenschaftlich-technischen Unterricht, in den Territories implementiert.

Im chilenischen STEAM-Territorio Marco Zona Sur werden lokale Themen identifiziert und gemeinsam vorangetrieben.
© Cristobal Saavedra

Können Sie das Vorgehen der Siemens Stiftung in den STEAM Territories konkreter beschreiben?

Die Siemens Stiftung fungiert hier als „Brückenbauer“, um die verschiedenen Akteure in einer Region zusammen zu bringen. Auf der Grundlage bestehender Netzwerke und einer Analyse des territorialen Kontextes werden zunächst geeignete STEAM Territories definiert. Dann treffen wir uns mit potentiellen Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Stadt- und Regionalverwaltung sowie Nachbarschaften, hören deren Wünsche, Vorstellungen und Positionen und überdenken gemeinsam, welche Rolle sie in einem STEAM Territory einnehmen könnten. Schließlich werden die Akteure in Workshops zusammengebracht, Ziele und Aufgaben formuliert. Auf diese Weise werden Bildungsthemen identifiziert und im Verbund vorangetrieben. Die STEAM Territories fungieren – kurz zusammengefasst – als Inkubatoren für Bildungsinnovationen.

Welche Themen sind das beispielsweise?

Das lässt sich gut am chilenischen STEAM Territory Macro Zona Sur erklären. Dort wird Bildung für nachhaltige Entwicklung behandelt. Luft- und Wasserverschmutzung und eine Bedrohung der endemischen Biodiversität führten in der Region zu einer schnellen Zieldefinition und Aufgabenverteilung. So wird im Zuge der Zusammenarbeit bereits ein Studiengang zur Bildungsinnovation für nachhaltige Entwicklung angeboten, und in die lokalen Bildungspläne der Städte Villarrica, Frutillar und Pucón wurden Klimawandelbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung aufgenommen. Als Stiftung sind wir gemeinsam mit der Wissenschaft neutrale, unabhängige Akteure und können als Brückenbauer zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft agieren.

Zusammen denken, gestalten und handeln.
© Siemens Stiftung

In diesem Jahr findet zum zweiten Mal der International Dialogue on STEM Education (IDoS) statt. Was ist das?

Der Kongress wurde 2017 gemeinsam vom „Haus der kleinen Forscher“ und der Siemens Stiftung initiiert. Als Mitgründer des „Haus der kleinen Forscher“, einer rein deutschen Initiative, wollen wir mit der IDoS den internationalen Austausch fördern und als international agierende Siemens Stiftung weltweite Experten zusammenbringen. 100 MINT-Akteure aus Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik tauschen sich über ihre Aktivitäten in der frühkindlichen MINT-Bildung aus. Das werden sowohl Teilnehmer des vergangenen Kongresses sein, als auch neue Akteure aus dem Netzwerk der Stiftungen, die sich um die Teilnahme bewerben konnten.

Wie lautet das Thema des Kongresses?

Die IDoS 2019 findet in Berlin am 5. und 6. Dezember zeitgleich zur UN-Klimakonferenz in Madrid statt und auch bei den Themen gibt es Parallelen. Der Schwerpunkt der IDoS wird auf der Bildung für nachhaltige Entwicklung liegen: Wie können die Sustainable Development Goals mit den 21st Century Skills erfolgreich kombiniert werden, um etwa Bewusstseinsbildung zum Klimawandel, Klimabildung und „Action for Climate Empowerment“ im MINT-Unterricht zu fördern? MINT-Bildung ist die Grundlage für ein tieferes Verständnis dieser globalen Phänomene. Es werden die unterschiedlichsten Workshops stattfinden – von der Frage, wie man indigenes Wissen in die Bildung integrieren kann über Design Thinking-Ansätze zur Entwicklung von Bildungsinnovationen bis hin zur politischen Umsetzung von MINT-Initiativen. Wie kann z. B. in Kenia nachhaltige Entwicklung in die Lehrpläne der MINT-Bildung einfließen?

Dieses Jahr soll auf der IDoS ein Positionspapier verabschiedet werden – warum?

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollen signalisieren, dass sich alle Akteure verpflichten, aus der eigenen Position heraus strukturiert, wissenschaftlich fundiert und operativ effektiv an einem Strang zu ziehen. So halten wir fest, dass alle auf dem gleichen Wissensstand sind und gemeinsam in die gleiche Richtung weitergehen wollen. Diese Formulierung und das Commitment stärken den internationalen Verbund.

Neben den Netzwerken ist auch Klimawandel-Bildung Teil Ihrer Arbeit in der Stiftung.

Der Klimawandel ist ein wichtiger Aufgabenbereich insbesondere in der MINT-Bildung. Im Rahmen meiner vorherigen Arbeitsstelle bin ich bereits mit der Durchführung von wissenschaftlichen Studien zur Klimawandelanpassung und der Umsetzung von Projekten zur Bewusstseinsbildung zum Klimawandel in Berührung gekommen. Die Siemens Stiftung arbeitet in diesem Feld mit dem „Office for Climate Education“ zusammen, das Lehrerfortbildungen, Lehr- und Lernmaterialien zur Klimawandel-Bildung in Form von Open Educational Resources herstellt. Wir können deren Materialien in unsere Netzwerke einbringen, um sie weiteren Multiplikatoren zur Verfügung zu stellen.

Workshop zur Klimawandel-Bildung im STEAM Territory Santiago Centro.
© Siemens Stiftung

Welche berufliche Erfahrung bringen Sie für die Position des Netzwerk-Koordinators in der Siemens Stiftung mit?

Durch mein Studium der Humangeographie und der Stadt- sowie Regionalentwicklung sind mir unterschiedliche Akteure von Stadtentwicklungsprozessen vertraut. Sie können als Netzwerk nur zusammenfinden, wenn alle Akteure gleichermaßen involviert sind. Heute sind zum Beispiel Städte stark wirtschaftlich ausgerichtet. Dies sorgt für Konflikte, Gentrifizierung und sozialräumliche Segregation, denn das städtische Netzwerk ist nicht ausgewogen konzeptioniert oder hat sich dahingehend verändert. Solch eine Entwicklung darf im Bildungssektor nicht geschehen und die Vorbeugung ist ein Grund für die Bildung der STEAM Territories – es muss stets um die Teilhabe aller gehen. Bei der Arbeit für die Siemens Stiftung kann ich mein Wissen aus dem Studium mit meiner Berufserfahrung in der wissenschaftlichen und didaktischen Konzeption und Erstellung von Bildungsmaterialien zusammenführen. Im internationalen Kontext hilft mir dabei mein deutsch-kurdischer Hintergrund. Das Aufwachsen in einer bi-kulturellen Familie führte zu interkultureller Kompetenz und Offenheit.

November 2019

Projektleitung Internationale Netzwerke
Badin Borde
+49 89 540487 326