Terreno Común

Lateinamerika & Europa im künstlerischen Dialog

Welche Erfahrungen teilen wir? Und wie können wir uns austauschen? – Terreno Común stellt wichtige Fragen des Zusammenlebens.
© Matadero Madrid

Terreno Común | Common Ground bietet Künstler*innen aus Lateinamerika und Europa einen gemeinsamen Arbeitsraum, in dem unterschiedliche Sichtweisen und Ansätze aufeinandertreffen und neue Ideen entstehen. Ausgehend von einem vielschichtigen Verständnis von Kultur, steht die Frage nach dem „common ground“ – einer gemeinsamen Basis – im Zentrum.

Wenn das Besondere an der Kunst ist, dass sie uns entdecken lässt, was wir nicht wissen und nicht verstehen, braucht es dafür – gerade im Grenzverkehr zwischen den Kulturen – Möglichkeiten der Interaktion. Denn die Künste bieten ein Experimentierfeld, in dem unterschiedliche Wahrnehmungsmuster, Diskurse und soziale Strukturen aufeinandertreffen und sich neues Wissen erschließen lässt. Auf Initiative der Siemens Stiftung entstand daher 2017 in Zusammenarbeit mit Naves Matadero – Centro Internacional de Artes Vivas Madrid und weiteren Partnern ein professioneller Arbeitsraum für künstlerische Forschung und Entwicklung auf beiden Kontinenten. Er umfasst Künstler*innenresidenzen, urbane Interventionen und Interaktionen mit lokalen Kunstschaffenden. Aus diesen Begegnungen entsteht eine Reihe von Kollaborationsprojekten, die jeweils gemeinsam von Künstlerinnen und Künstlern aus Lateinamerika und Europa entwickelt werden.

Kooperationsprojekte zwischen lateinamerikanischen und spanischen Künstler*innen

Seit Gründung des ersten professionellen Arbeitsraum in Madrid im Juli 2017 arbeiten Künstler*innen u.a. aus Argentinien, Chile, Kuba, Kolumbien, Peru und Uruguay zusammen mit spanischen Künstlern an weiteren Kooperationsprojekten.

Experimenta/Madrid ermöglicht jungen Künstler*innen ein Labor des gemeinsamen Denkens und Gestaltens.
Enrique Escorza

Aktuelle Kooperationen

Das Projekt „Experimenta/Madrid“ eröffnet in der La Casa Encendida und im Stadtteil San Cristóbal in Madrid ein Labor des gemeinsamen Denkens und Gestaltens. Im Zentrum steht die Frage nach den „Magnetfeldern“ künstlerischer Prozesse – den Kräften, die entstehen, wenn Künstler*innen mit Welten in Berührung kommen die sie nicht kennen, die sie beunruhigen oder befremden, die weder ihre eigenen sind noch die ihrer künstlerischen Community.

Unter der Koordination des kolumbianischen Künstlers und Forschers Rolf Abderhalden Cortés sowie der Philosophin Adriana Urrea Restrepo richtet sich das Projekt an junge Künstler*innen unter 30 Jahren aus allen Disziplinen. Es untersucht, welche Formen der Aneignung, Öffnung und des Risikos aus solchen Begegnungen entstehen, welche Arbeitsweisen sich herausbilden und welche Beziehungen sich in diesen neuen Gemeinschaften stiften. Welche Auswirkungen hat die Präsenz anderer Kräfte, die in einem Magnetfeld auftauchen, auf die künstlerische Schöpfung selbst sowie auf ihre Produktions- und Rezeptionsweisen? Ausgehend von dieser Vorstellung des Magnetfeldes regt das Projekt kollektive Experimente an – im Austausch mit außerkünstlerischen menschlichen wie nicht-menschlichen Lebenswelten. Dabei werden Fragen zu den Schaffensprozessen der Teilnehmenden ebenso verhandelt wie Begegnungen mit internationalen Künstler*innen des Festivals IDEM, indessen Rahmen das Labor umgesetzt wird.

Den Abschluss bildet am 20. September 2025 eine künstlerische Intervention der Teilnehmenden im Stadtteil San Cristóbal. Das Projekt ist ein Ableger der künstlerischen Plattform Experimenta/sur, die 2012 gemeinsam von Mapa Teatro und der Siemens-Stiftung in Bogotá, Kolumbien, entwickelt wurde.

Bisherige Arbeiten im Überblick

Das Projekt „Escuela del Sur“ schuf in den Jahren 2023 und 2024 im Austausch mit lateinamerikanischen Künstler*innen einen experimentellen Lernraum für künstlerische Kreation in Cádiz. Das von Rosa Romero und Alberto Cortés entwickelte Konzept verfolgte das Ziel, den lokalen Kontext zu verändern und sich gleichzeitig durch den Kontext selbst verändern zu lassen. Über ein Jahr hinweg arbeiteten zwei Gruppen parallel: In der „Grupo Petróleo“ trafen Jugendliche aus der Region zusammen. Die „Grupo Salvaora“ verknüpfte lokale Künstler*innen, die sich der Erforschung neuer Formate widmeten. Beide Gruppen entwickelten ihre Praxis in unterschiedlichen Modulen, kreuzten sich jedoch immer wieder zur gegenseitigen Inspiration. Das Projekt, das während des Festival Iberoamericano de Teatro de Cádiz 2023 begann, schuf so über mehr als ein Jahr hinweg einen kontinuierlichen Raum, in dem künstlerische Kreation, Reflexion und gemeinsames Lernen miteinander verwoben waren und eine kreative Gemeinschaft entstehen konnte. Öffentliche Aktionen und Präsentationen setzten wichtige Impulse für den Austausch und die Auseinandersetzung mit individuellen wie gesellschaftlichen Fragestellungen – in einer Region, die über wenige experimentelle Räume für darstellende Kunst verfügt.

Die in Wien ansässige Choreografin Amanda Piña hat mit ihrem Kollektiv nadaproductions an verschiedenen Orten in Santiago de Chile an einer Projektserie mit dem Titel „La Escuela de las Montañas y del Agua“ (Schule der Berge und des Wassers) gearbeitet. Mit Beteiligten aus Mexiko, Chile und Europa recherchierte sie die Geschichte des Trinkwassers in Santiago de Chile und den Verlauf der Flüsse Mapocho und Maipo, deren Quellen in den nahegelegenen Anden liegen. Eingebettet ist das Projekt in eine Langzeitstudie über den aktuellen Verlust der kulturellen und biologischen Vielfalt unseres Planeten.

Die mögliche Interaktion zwischen Kunst, indigenem Wissen, Aktivismus und wissenschaftlicher Forschung im Zusammenhang mit der aktuellen Klimakrise steht im Mittelpunkt des Projekts. Das mehrmonatige Programm zu diesem Thema startete mit einer Ausstellung auf dem Gelände des Museo Interactivo Mirador in Santiago de Chile am 2. Dezember 2022 und umfasste in der Folge eine Redereihe, performative Parcours in die umliegenden Berge und zu Wasserstellen der Stadt, Workshops und abschließend eine Bühnenproduktion unter dem Titel „Danzas Climaticas“ (Klimatänze) mit chilenischen Darstellerinnen im GAM – Centro Cultural Gabriela Mistral im März 2022.

Mapa Teatro nimmt mit dem Projekt „El Arcano de la Quina“ den wissenschaftlichen Streit um die Entdeckung des Chinins in der Chinarinde in den Blick und betrachtet dessen biopolitischen Kontext. „Das deutlichste Beispiel dafür, wie eng wissenschaftliche Erkenntnisse, koloniale Macht und der Diskurs über die Reinheit des Blutes in Nueva Granada miteinander verbunden waren, ist der berühmte Streit zwischen den Ärzten José Celestino Mutis und Sebastián López Ruiz über die Entdeckung des Chinins“, erklärt der Philosoph Santiago Castro. Für das Projekt werden zunächst Archive in Madrid und Bogotá durchforscht. Ergebnisse der Recherche werden im März 2020 im Naves de Matadero vorgestellt.

Seit Oktober 2019 arbeitet der spanische Architekt und Künstler Santiago Cirugeda mit seinem Kollektiv Recetas Urbanas und einem Team von kubanischen Institutionen sowie Fachleuten aus Geschichtswissenschaften, Architektur und Kunst an einem neuen Projekt der Reihe Terreno Común, das den Gemeinsinn an einem legendären Ort beleben möchte: dem vom Verfall bedrohten Geburtshaus der kubanischen Dichterin Dulce María Loynaz in Havanna, Kuba. Das Projekt „Habitar el Gesto“ bindet die Nachbarschaft in die Transformation des vulnerablen architektonischen und sozialen Raums mit hohem Kulturwert ein. Die Ergebnisse sind von 7. bis 9. Februar 2020 zu sehen.

Mit Übersetzungsprozessen beschäftigt sich die chilenische Regisseurin und Schauspielerin María Siebald. In einer ersten Recherchephase im Juni und Juli 2018 arbeitete sie in Madrid mit Communities von Gehörlosen an einer Interpretation von Texten zeitgenössischer spanischer Autoren in Gebärdensprache. Darauf aufbauend entwickelte sie in einer zweiten Arbeitsphase von Januar bis April 2019 die Produktion „Trasunto #2“, die vom 5. bis 7. April 2019 in Naves zur Uraufführung kam. Parallel dazu entstand die Videoarbeit „30 ADH / Artículos de los derechos humano“. Sie übersetzt in 30 Kurzstücken die einzelnen Artikel der Deklaration der Menschenrechte von 1948 in Zeichensprache und verdichtet sie zu einer Choreographie. Die Installation wurde vom 5. bis 21. April 2019 in Madrid gezeigt.

Einen Raum des geteilten Wissens, in dem Objekte unterschiedlicher Natur koexistieren und unseren Blick wenden, entwarf die spanische Choreographin Maria Jerez mit in ihrer Produktion „The Stain“, die vom 29. bis 31. März 2019 in Madrid gezeigt wurde. Während des Entstehungsprozesses hatte sie einen Zimmermann, einen Musiker, einen Maler und einen Bäcker zur Zusammenarbeit eingeladen, um Dinge zusammenzustellen, die scheinbar nicht zusammengehören.

„Inwieweit sprechen wir bei der Beschreibung der Anderen in Wirklichkeit über uns selbst?“, fragten sich der in Spanien lebende Musiker Julián Mayorga und der kolumbianische Künstler Andrés Gualdrón, die am Centro Etopia de Zaragoza und anschließend in Kolumbien arbeiteten. Erzählerische Achse ihres gemeinsamen Projekts „Islas Atlánticas“ ist die Entstehung eines neuen Inselarchipels im Atlantischen Ozean. In dieser Parallelwelt zwischen den Kontinenten gehen die Künstler Fragen der Migration, der Besiedlung und der kulturellen Verflechtungen nach. Entstanden ist ein Buch, eine CD-Produktion und eine Konzertaufführung, die zuerst vom 15. bis 16. Februar 2019 im Matadero in Madrid zu sehen war.

Im Matadero Madrid arbeitete die kubanische Autorin und Theatermacherin Laura Liz Gil Echenique mit dem spanischen Kollektiv Los Bárbaros. Ausgangspunkt des gemeinsamen Projekts war die Geschichte des Madrider Stadtteils Cerro Belmonte im Jahr 1990. Dessen Bewohner, unzufrieden mit den politischen Verhältnissen, erklärten die Unabhängigkeit ihres Viertels von Spanien und beantragten Asyl in Kuba. Im August 2018 entwickelten die Künstler das Stück in Kuba weiter. Die Uraufführung fand am 30. November 2018 in Naves de Matadero in Madrid statt.

Wie wollen wir zusammen leben? Vom 11. bis 22. Juli 2018 befragte das interdisziplinäre chilenische Kollektiv Mil M2 gemeinsam mit dem spanischen Künstler Javier Cruz in acht Vierteln Madrids die Bürgerinnen und Bürger über das soziale Leben in der Stadt. Aktuellen Themen und persönlichen Gedanken gaben sie mit ihrer Intervention „Proyecto Pregunta“ einen öffentlichen Resonanzraum und eröffneten Möglichkeiten des Austauschs. Das Projekt wurde in Kooperation mit Veranos de la Villa umgesetzt.

Vom 25. Juni bis 24. Juli 2017 führte das „Colectivo Traficantes“ die Reihe der Kooperationsprojekte durch. Die Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern (Mercedes Halfon/Argentinien, Laura Liz Gil Echenique /Kuba, Adriana Bermúdez Fernándes/Kolumbien, Diego Alejandro Garzón/Kolumbien, Jorge Tadeo Baldeón/Peru, Leonor Courtoisie/Uruguay) hatte sich während Experimenta Sur 2016 in Bogotá gegründet. Seine künstlerische Praxis entwickelte das multi-disziplinäre Kollektiv auf der Basis von Kommunikationstools wie Skype, handschriftlichen Briefen oder dem Versenden von Objekten. Denn unzählige Dinge wandern täglich um den Erdball – in Form von Handelswaren, auf Computerbildschirmen oder im Gepäck von Migranten. Folgt man ihren Bewegungsverläufen, lässt sich viel über die Wandlungsfähigkeit von Gesellschaften erfahren. In einem Rechercheprojekt untersuchte das Kollektiv diese komplexen Verflechtungen von persönlichen und politischen Realitäten. Es entwickelte unter dem Titel „Correspondencia“ eine Reihe von Aktionen, mit denen sie Handel und Kommunikation neue Bedeutungen gaben. Ergebnisse wurden in einem öffentlichen Projektraum mit einer Ausstellung, Diskussion und performativen Elementen von 18. bis 21. Juli 2017 im Kulturzentrum Matadero gezeigt. Im Anschluss wurde das Projekt als work-in-progress in Buenos Aires fortgesetzt.

Projektleitung Terreno Común
Joachim Gerstmeier
joachim.gerstmeier@siemens-stiftung.org