Kreativ, komplex, transformativ – und ganz konkret

Der cross-sektorale Ansatz von WeTu

 

Was haben Fischerlampen mit Motorrädern zu tun? Und welche Rolle spielen sauberes Trinkwasser, Eis und recycelte Elektrogeräte dabei? Wer das herausfinden möchte, begibt sich am besten auf eine Reise nach Kisumu, der drittgrößten Stadt Kenias, und von dort weiter über Homa Bay bis nach Mbita, immer am Lake Viktoria entlang.  

Ufer des Lake Victoria
© Siemens Stiftung

Auf dieser Strecke befinden sich verschiedene „Innovations-Hubs“ des Sozialunternehmens WeTu, was auf Swahili so viel wie „Unser“ bedeutet. Hier lässt sich gut erkunden, wie der etwas abstrakt klingende cross-sektorale Ansatz von WeTu vor Ort ganz konkret umgesetzt wird. 2019 von der Siemens Stiftung als Hauptinvestorin gegründet, verknüpft das Unternehmen die Bereiche Trinkwasser, Solarstrom, E-Mobilität und Recycling und stellt so nachhaltige und bezahlbare Lösungen für die lokale Bevölkerung bereit. „Transformative Wirkung vor Profit“ lautet dabei das Motto – denn WeTu möchte das Leben der Menschen in und rund um die Fischer-Gemeinden langfristig zum Besseren verändern. Neben Kisumu County ist das Sozialunternehmen auch in den Counties Homa Bay, Migori und Siaya in West Kenia tätig.

E-Mobilität für den ländlichen Raum

Wir machen unter anderem Station beim größten Innovations-Hub in Homa-Bay: Auf einem Gelände nahe der Hauptstraße etwas außerhalb des Zentrums steht ein Ensemble bunter Container. Es herrscht eine geschäftige, aber zugleich freundliche und relaxte Atmosphäre. Hier, wie auch an den anderen WeTu Hubs, trifft man auf ein Team von überwiegend jungen, gut ausgebildeten Männern und Frauen, denen man das Engagement für die Sache und die Freude an der Arbeit anmerkt. Joel Mwando, zuständig für Monitoring und Evaluation, führt Besucher besonders gerne herum – zunächst mal in die Biker-Garage.

WeTu setzt auf E-Mobilität.
© Siemens Stiftung

Da stehen sie, knallgrüne elektrisch betriebene Motorräder – vorwiegend in Afrika beliebte und robuste Bajaj-Boxer-Modelle aus Indien. Für 1000 Kenianische Schilling (knapp 8 Euro) monatlich können lokale, lizensierte „Boda-Boda Drivers“, wie die Motorrad-Taxifahrer*innen im Volksmund genannt werden, die Fahrzeuge von WeTu leasen. 250-300 Kenianische Shilling werden je nach Modell und Reichweite als „Swap-Fee“ für die Batterien berechnet. Dafür sind Wartung und das Wiederaufladen der speziell an die Bikes angepassten Akkus oder der Gogo Modelle aus Uganda im Preis inbegriffen.

Junice Akoth und Kennedy Bolo
© Siemens Stiftung

Für Junice Akoth, 34 und Kennedy Bolo, 44, die beide ihre Bikes in der benachbarten WeTu Station in Katito anmieten, ist das ein lohnendes Geschäftsmodell. „Ich spare den immer teurer werdenden Sprit. Außerdem spart es CO₂-Emissionen und ist klima- und umweltfreundlich“, sagt Bolo. Laut Fahrerin Akoth kommen die E-Motorbikes auch bei den Passagieren gut an: „Sie schätzen, dass die Fahrzeuge so schön leise sind.“ Eine Frau wie Akoth am Steuer eines Boda-Boda ist zwar in Kenia noch eine Seltenheit – doch auch das will WeTu ändern. Dazu werden Trainings für Frauen angeboten, um sie als Fahrerinnen oder auch als Mechanikerinnen zu schulen – so wie jüngst ein zusammen mit dem UN Environment Program und der Initiative „Women on Wheels“ durchgeführter Workshop für 30 junge Frauen.

Elektroschrott mit Mehrwert

Dabei ist E-Mobilität zwar eine prägnante, aber keineswegs die einzige wichtige Komponente bei WeTu. Das macht der weitere Rundgang durch den Homa Bay Hub deutlich. Direkt neben der Motorrad-Garage befindet sich „WeCollect“, die Recycling-Einheit. Hier wird Elektro-Schrott (gebrauchte Laptops, Fernseher, Kühlschränke und vieles mehr) entgegengenommen und von Spezialist Fredrik Ouko entweder für das Recycling vorbereitet oder repariert. 50 Kenianische Schilling, so erläutert seine Kollegin Lavender Achieng werden für 1 Kilo elektronischen Abfall bezahlt, Plastik ist mit 20 Schilling pro Kilo etwas weniger wert. 

Frederik Ouko
© Siemens Stiftung

 „Es geht uns vor allem darum, die Menschen dafür zu sensibilisieren, dass ausgemistete, um die Häuser herumliegende oder im See entsorgte Elektrogeräte eine große Gefahr für Gesundheit und Umwelt sind“, sagt Achieng. Ein Geschäft macht WeTu dagegen mit dieser Komponente – noch – nicht.

WeTu vermietet Solarlampen.
© Siemens Stiftung

Solarbetriebene Fischerlampen

Der Business Case, zugleich Herzstück des Unternehmens, mit dem andere Komponenten querfinanziert werden, lässt sich in einem weiteren Container begutachten. Dort sind seit dem frühen Morgen hunderte orange- und hellblau-farbene, tragbare Lampen an solar-betriebene Aufladestationen angeschlossen. Gegen Nachmittag werden die Lampen, auf denen klangvolle Bootsnamen stehen, von ihren Besitzern, lokalen Fischern wieder abgeholt. Denn am Abend geht es zum Nachtfischen raus auf den See – die Lampen ziehen Insekten an, die wiederum die „Omena“ genannten Süßwassersardinen anlocken, eine der wichtigsten Einkommensquellen für die Menschen hier in dieser Gegend. In der Vergangenheit nutzten die Fischer häufig Kerosin- oder Säurebatterie-betriebene Lampen. Die Solarlampen, die ebenfalls von WeTu vermietet werden, bilden nun eine umweltfreundliche Alternative für den ohnehin stark mit Schadstoffen belasteten See.

Fischer auf dem Lake Victoria
© Siemens Stiftung

Solar ist das Kernstück der gesamten Energieversorgung des Hubs in Homa Bay und anderer umliegender Stationen, die alle ähnlich konzipiert sind. Mit Solarenergie werden Pumpen und Wasseraufbereiter betrieben – Grundvoraussetzung für einen weiteren wichtigen Bereich von WeTu: die Versorgung der lokalen Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser – etwas, das der verschmutzte See nicht bieten kann. Wie an einem Bankautomat kann dazu an kleinen ATM-Stationen in den Communities mithilfe zuvor digital aufgeladener Prepaid-Karten Wasser „gezogen“ werden. Die Wasserqualität wird duch WeTu-eigene Labore regelmäßig kontrolliert.

Lemeeh Tarwish
© Siemens Stiftung

Smartes Service-Netz

Lemeeh Tarwish wacht über dieses komplexe System. „Früher ging es oft darum, den Menschen Energie bereitzustellen. Wir hingegen bieten ihnen Serviceleistungen basierend auf sauberer Energie.“ Tarwish nennt es „Smart-Grid statt Mini-Grid.“ 200 KW/pro Stunde konsumiert allein die Homa Bay Station pro Tag – das entspreche dem Verbrauch von rund 150 2-3 Personen-Haushalten. „Doch wir sind technisch gut gerüstet dafür“, so Tarnish. Sauberes Eis für die Fischer, kleine Kühlhäuschen für lokale Märkte – bei WeTu gehen die Ideen für weitere Service-Leistungen, die sich in dieses „kluge Netz“ integrieren lassen, nie aus. Aber ist das alles bei den niedrigen Preisen auch profitabel? „Spätestens im kommenden Jahr wollen wir den operativen Break Even erreichen“, sagt Tilmann Straub, Gründer und Geschäftsführer von WeTu. Doch für Wachstum und Innovation werde auch künftig „philanthropisches Geld“ von Investor*innen gebraucht. Und ständige Weiterentwicklung sei nun mal das Markenzeichen von WeTu. Digitale Lösungen spielen dabei eine große Rolle. Straub: „Bei uns ist inzwischen alles komplett cashless.“ WeTu schafft auch Arbeitsplätze in der Region: 80 direkte Stellen zur Zeit, davon ein Drittel mit Frauen besetzt.

Mitarbeitende von WeTu
© Siemens Stiftung

Sozialunternehmertum als Teil des Wandels

Kann Social Entrepreneurship klassische Entwicklungszusammenarbeit ersetzen? „Das wäre zu kurz gegriffen“, sagt Tilmann Straub, Gründer und Geschäftsführer von WeTu. „In technologiegetriebenen Feldern wie Energie oder Wasser können sozialunternehmerische Modelle große Wirkung entfalten – sie ermöglichen Lösungen, die sich tragen und skalieren lassen. In Bereichen wie Bildung ist das anspruchsvoller – aber auch hier entstehen erste tragfähige Ansätze.“

Für Nina Smidt, Vorständin der Siemens Stiftung und Gesellschafterin von WeTu, liegt der Schlüssel nicht in einem Entweder-Oder, sondern im Zusammenspiel: „Wirkung entsteht dort, wo unterschiedliche Sektoren gemeinsam denken und handeln. Sozialunternehmertum ist ein ganz essentieller Hebel, besonders in Verbindung mit öffentlicher Förderung und lokalem Engagement. Die Siemens Stiftung versteht sich dabei als Impulsgeberin und Brückenbauerin – zwischen unternehmerischer Innovation, systemischer Entwicklungsarbeit und den Bedürfnissen der Menschen vor Ort.“

Dr. Nina Smidt, Vorständin und Sprecherin des Vorstands der
Siemens Stiftung

Für Nina Smidt, Vorständin der Siemens Stiftung und Gesellschafterin von WeTu, liegt der Schlüssel nicht in einem Entweder-Oder, sondern im Zusammenspiel: „Wirkung entsteht dort, wo unterschiedliche Sektoren gemeinsam denken und handeln. Sozialunternehmertum ist ein ganz essentieller Hebel, besonders in Verbindung mit öffentlicher Förderung und lokalem Engagement. Die Siemens Stiftung versteht sich dabei als Impulsgeberin und Brückenbauerin – zwischen unternehmerischer Innovation, systemischer Entwicklungsarbeit und den Bedürfnissen der Menschen vor Ort.“

Erfahren Sie mehr 
über WeTu, den Innovationshub mit nachhaltiger Wirkung am Lake Victoria.

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