© Siemens Stiftung

»Für abgelegene Regionen, mit geringer Infrastruktur, sind angepasste Technologien der Schlüssel zur Lösung.«

Rolf Huber, Geschäftsführender Vorstand der Siemens Stiftung (Oktober 2012 - September 2021)

Die technische Lösung muss genau zur Herausforderung vor Ort passen

Heute leben wir in einem Zeitalter der Entwicklungen. Viele Herausforderungen wurden bereits gemeistert, immer neue ergeben sich stetig daraus. Für die meisten Entwicklungsschwierigkeiten gibt es technische Lösungen, aber wie finden wir die passende für den jeweiligen Ort?

Rolf Huber, Geschäftsführender Vorstand der Siemens Stiftung, spricht über die gegenwärtigen Herausforderungen in der Entwicklungszusammenarbeit. Um wirkungsvoll zu sein, muss sie nachhaltige Entwicklung, geeignete Technologien, ein funktionierendes Organisationsmodell und einen Gemeinschaftsansatz zusammenbringen.

Die Siemens Stiftung setzt auf Low-Tech-Lösungen wie Wasserpumpen, die schon seit langem eingesetzt werden. Sind diese Lösungen überhaupt noch zeitgemäß, wenn man bedenkt, dass digitale Technologien in den meisten Bereichen einen enormen Wandel bewirkt haben?

Ja, ich glaube schon! Unsere Arbeit besteht darin, einfache Lösungen anzubieten, die grundlegende Versorgungsleistungen wie Trinkwasser, Sanitäranlagen, Gesundheitswesen, Abfallwirtschaft, Energieversorgung und Bildung umfassen. Digitale Anwendungen können vieles, aber sie können kein Wasser reinigen oder sanitäre Einrichtungen bereitstellen. Unser Schwerpunkt liegt daher im Bereich der Low-Tech-Lösungen. Wir arbeiten in weit abgelegenen und strukturschwachen Gebieten, in denen es kaum grundlegende Versorgungseinrichtungen gibt und in den meisten Fällen Infrastrukturen neu aufgebaut werden müssen. Durch unser empowering people. Network unterstützem wir aber sowohl infrastrukturelle als auch digitale Lösungen. Die Innovationen von Fintech zum Beispiel kombiniert beides. Zu unseren Lösungen gehören Monitoring-Apps oder SMS-Dienste, die den Zugang zu Gesundheit und Sicherheit erleichtern, Satelliten oder intelligente Informationssysteme im landwirtschaftlichen Bereich. Ich denke, dass wir beides gleichermaßen brauchen werden – infrastrukturelle Lösungen zur Verbesserung der Grundversorgung und digitale Lösungen. Sie können einen großen Beitrag zur Verbesserung von Information und Kommunikation leisten, um das Monitoring von Ferndiagnosesystemen zu verbessern oder bessere Erkenntnisse für landwirtschaftliche und ernährungstechnische Zwecke zu gewinnen. 

Welchen Herausforderungen begegnen Sie in Ihrer Zusammenarbeit mit Innovatoren und Start-Ups, wenn es darum geht, nachhaltige Lösungen zu finden?

Wir arbeiten mit vielen kleinen Teams, Sozialunternehmen und Start-ups, die oft noch nicht gut etabliert sind. Es entspricht unserem Anspruch als Stiftung, sie durch den Transfer unserer Expertise, Erfahrung und unseres technischen Know-hows zu stärken. So unterstützen wir sie dabei, zu ernstzunehmenden Akteuren in diesem Bereich zu werden. Damit gehen zahlreiche Herausforderungen einher, denn unsere Partner sind keine herkömmlichen Unternehmer. Da wir nach grundlegenden Lösungen suchen, sind die Anbieter oft intelligente Ingenieure und Erfinder. Sie konzentrieren sich verstärkt auf das technologische Produkt, seine Effizienz und Herstellung, während die Implementierung bwz. der Vertrieb ihrer Produkte häufig nachrangig für sie ist. Dabei verlieren sie manchmal den Fokus auf tertiäre Aspekte wie die finanzielle Entwicklung, personelle Ressourcen oder das soziale Umfeld. Deshalb stärken wir sie insbesondere mit Expertise bezüglich der Organisationsentwicklung oder durch die Unterstützung unseres Netzwerks im Sinne von Best Practice oder Experteering. Unser Ziel dabei ist, die Nachhaltigkeit der Unternehmen zu gewährleisten. Dabei lernen auch wir stets dazu.

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Den empowering people. Award 2016 gewann das Social Enterprise Bempu, das die Säuglings-Sterblichkeitsrate senken will.
© Bempu Health/ Siemens Stiftung

Inwiefern halten Sie das Engagement einer europäischen Stiftung in abgelegenen Gebieten Lateinamerikas, Asiens und Afrikas für wirksam?

Wir bieten nicht einfach nur Lösungen an! Wir arbeiten mit Organisationen und Menschen auf der ganzen Welt zusammen, die  in ihren Fokusregionen die Lebensbedingungen verbessern und deren Arbeit sich mit unserer ergänzt. Die Art der Intervention ist vielfältig – sie reicht von der weltweiten Unterstützung von Unternehmern durch das Expertenprogramm unseres empowering people. Networks bis hin zur direkten Zusammenarbeit mit einem Müllentsorgungsunternehmen in Nairobi. Entscheidend dabei ist, dass all dies ohne unsere starken Partner nicht möglich wäre, die über die ganze Welt verteilt sind. Wir haben aus unserer operativen Arbeit und auch der engen Zusammenarbeit mit unserem kenianischen Team gelernt, dass wir wirklich vor Ort bleiben und die lokale Gemeinschaft tiefergehend unterstützen müssen, anstatt uns zu schnell auf großformatige Modelle zu stürzen.

Einige der Bereiche, an denen Sie arbeiten, wie z.B. die Bereitstellung von Trinkwasser durch Ihre Safe Water Enterprises, können in den Bereich des „öffentlichen Sektors" fallen. Welche Rolle kann die Stiftung hier spielen?

Wir arbeiten in Regionen, mit durchaus schwierigen Rahmenbedingungen, die jedoch eine stabile Regierung aufweisen. Wenn wir mit einer Gemeinde zusammenarbeiten, die sauberes Trinkwasser benötigt, fällt dies grundsätzlich schon in den Verantwortungsbereich des öffentlichenSektors. Unser Vorgehen ist es, sich an den bestehenden Einrichtungen zu orientieren und zu improvisieren. Im Zuge eines SWE-Projekts untersuchen wir beispielsweise den Standort, die politische Situation und sprechen mit den lokalen Behörden. Unser Ziel ist es, eine Lizenz zu erhalten und die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten. Wir müssen die Behörden an Bord haben, um nachhaltige und ganzheitliche Ergebnisse erzielen zu können.

Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel nennen: Vor kurzem hat das kenianische Wasserministerium ein Gesetz erlassen, in dem es alle Wasserressourcen im Rahmen seiner administrativen Verantwortung koordinieren möchte. Wir sind im Dialog mit ihm, um die Nachhaltigkeit der von uns errichteten Wasserstrukturen zu gewährleisten. In Kwale, an der kenianischen Küste, sind die lokalen Behörden von unserem Safe Water Enterprise Modell so überzeugt, dass sie es in ihre Strukturen integrieren möchten. Das ist natürlich der allerbeste Fall, wenn wir Lösungen anbieten können, die funktionieren und von öffentlichen Strukturen übernommen und systematisch repliziert werden.

Sind Sie als ausländische Stiftung bei lokalen Behörden auf Widerstand gestoßen?

Die öffentlichen Behörden sind sehr wachsam, da geförderte Projekte aus dem Ausland oft andere Akteure anlocken, die aus Eigeninteresse oder zu kommerziellen Zwecken in das Projekt einsteigen. Deshalb schätzen wir skeptische Behörden, die viele Fragen stellen und sich ein klares Bild von unseren Vorhaben machen wollen. Wenn es anfangs besonders reibungslos läuft, und die Behörden dann später Geld von uns verlangen, können wir nicht mit ihnen zusammenarbeiten. Korruption ist keine Option für uns.

Wenn Sie auf Ihre Erfahrungen zurückblicken - was würden Sie jetzt anders machen?

Der Wille und die Vision einer Gemeinschaft sind entscheidend, um wirklich nachhaltig etwas zu erreichen. In der Vergangenheit haben wir viel Wert darauf gelegt, eine Community kennenzulernen. Unser Hauptaugenmerk lag allerdings vor allem darauf, deren Bedürfnisse zu identifizieren und diese mit unseren technischen Lösungen und Trainingsexpertise zu verknüpfen. Die Erfahrung zeigt, dass eine Fokussierung auf die Ressourcen einer Gemeinschaft der effizientere Weg ist. Wir prüfen nun, ob es bestehende Gruppen gibt, die bereit sind, den Wandel für eine Gemeinschaft zu gestalten. Welche Ideen haben sie, um die Probleme oder Herausforderungen zu lösen, mit denen sie konfrontiert sind? Wir engagieren uns dann auf dieser Basis, ohne ein festes, bestehendes Muster anzuwenden. Da wir diesen Ansatz weiterentwickeln wollen, arbeiten wir auch mit dem MIT an einer Fallstudie in Kolumbien über Co-Creation, bei der wir versuchen, die Ergebnisse vor Ort in unserer täglichen Arbeit anzuwenden.

April 2019