»Wir werden in Ostafrika bald ermutigende Technologiesprünge sehen.«

Rolf Huber, Geschäftsführender Vorstand der Siemens Stiftung​ (Oktober 2012 - September 2021)

Bessere Lebensbedingungen für Kenia

Die Siemens Stiftung hat die WE!Hub Victoria Ltd in Kenia gegründet. Entlang der Küste des Viktoriasees wird das Sozialunternehmen unter dem Namen WeTu an innovativen Lösungen zur Trinkwasser- und Energieversorgung arbeiten. Gleichzeitig werden neu entwickelte elektrische Fahrzeuge erstmals im ländlichen Afrika eingesetzt. Mit diesen Lösungen sowie sozialen und ökologischen Geschäftsmodellen sollen die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort verbessert, Jobs geschaffen und neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnet werden.

Warum hat die Siemens Stiftung das Sozialunternehmen WeTu gegründet?

Wir sind davon überzeugt, dass die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele und gesellschaftliche Entwicklung im ländlichen Afrika auf Basis von dauerhaft funktionierenden und umweltfreundlichen Modellen möglich ist. Deshalb ist WeTu als Sozialunternehmen aufgesetzt und verfolgt soziale, wirtschaftliche und ökologische Interessen. Das Geschäftsmodell basiert auf technischen Lösungen, die genau für diesen Markt entwickelt wurden.

Unsere langjährige Projekterfahrung in verschiedenen Gebieten Afrikas hat uns gezeigt, dass selbsttragende und finanziell unabhängige Lösungen möglich sind, und zwar durch die gemeinschaftliche Umsetzung lokaler Ideen kombiniert mit regionalem wie internationalem Know-how und Kooperationen. So haben wir mit dem Impact Hub Netzwerk mehrere Gründerzentren in verschiedenen afrikanischen Städten aufgebaut und waren unter anderem auch beim WE!Hub Projekt, dem Vorgängermodell am Viktoriasee, aktiv beteiligt. Dadurch kennen wir die Region, die Gemeinden und möglichen Geschäftsmodelle ziemlich gut. Das Geschäftsmodell basiert auf technischen Lösungen, die genau für diesen Markt im ländlichen Afrika entwickelt wurden.

Am WeTu Hub in Mbita am Viktoriasee können Kunden sauberes Trinkwasser erwerben und Solar-Laternen ausleihen.

Wie würden Sie die Situation vor Ort basierend auf Ihrer Erfahrung beschreiben?

Es ist ein zwiespältiges Bild rund um den Viktoriasee: Einerseits sehen wir ein unglaublich großes Potenzial. Es gibt viele junge Menschen, die hochmotiviert sind und ihre Lebensumstände verbessern wollen. Sie wollen Chancen ergreifen und zeigen Unternehmergeist.

Auf der anderen Seite gibt es in der Region mehr als 20 % Jugendarbeitslosigkeit – und Frustration ist natürlich Gift für so eine junge Gesellschaft. Zudem ist der Zugang zu lebensnotwendigen Gütern nicht gesichert. Die Versorgung mit Trinkwasser ist schlecht, denn nach wie vor trinken viele Menschen das verunreinigte Wasser aus dem Viktoriasee. Die Verschmutzung des Sees ist eine Bedrohung für die Lebensgrundlagen der Gemeinden, da ihre Einkommen stark von der Fischerei abhängig sind. Die schwache Infrastruktur im ländlichen Raum, keine oder schlechte Straßen und die damit einhergehende Herausforderung, Waren wie Lebensmittel oder Trinkwasser zu transportieren, sind ein großes Hindernis für Entwicklung.

Sie setzen eine ganze Bandbreite an Technologien ein, warum gerade diese?

Die Technologien, die wir anbieten werden, sind genau geprüft und auf die Bedürfnisse und Gegebenheiten vor Ort abgestimmt.

So wurden die Fischerleuchten eigens für WeTu entwickelt. Sie sind extrem widerstandsfähig und ersetzen mit ihren Lithium-Ionen-Batterien die derzeit oft verwendeten Bleibatterien und Petroleumlampen, die neben ihrer gesundheitsschädigenden Wirkung auch eine hohe Umweltbelastung für den See darstellen.

Bei der Wasserfiltration haben wir uns für ein Produkt von „Solar Spring“ entschieden, eine Ausgründung vom Fraunhofer Institut, die robuste und wartungsarme Wasserfiltrationsanlagen speziell für ländliche Entwicklungsregionen herstellt. Mit ihrem vierstufigen Filtrationsprozess ist die Anlage ideal, um konstant bestes und sicheres Trinkwasser anbieten zu können.

Im Bereich E-Mobility wollen wir verschiedene Produkte testen. Dazu gehören das elektrische „aCar“, ein einfacher und kleiner Elektro-Laster vom Münchner Start-Up „EVUM“, einer Ausgründung der Technische Universität München. Mit diesem Elektro-Laster soll WeTu Wasser und Batterien auch an schwer zugängliche Orte liefern. Die elektrischen Lastenräder des jungen Unternehmens „anywhere.berlin“ werden Logistikaufgaben in Landwirtschaft und Handwerk übernehmen können. Die elektrischen Bootsmotoren von „Toqueedo“ für die Fischerboote werden die Verschmutzung des Seewassers gravierend verringern. Ich bin sicher, wir werden im Bereich E-Mobility in Ostafrika schon bald ermutigende Technologiesprünge sehen.

Aufgeladen wird alles von Solaranlagen, die kostengünstig, sauber und zuverlässig die Energie produzieren und bereitstellen.

Mit welchen Partnern arbeiten Sie zusammen?

Wir arbeiten mit unterschiedlichen Technologiepartnern zusammen und wollen uns außerdem mit der lokalen Start-Up-Szene vernetzen. Deshalb haben wir als Firmensitz auch das Gründungszentrum LakeHub in Kisumu gewählt. Parallel dazu sind wir dabei, ein deutsch-kenianisches Forschungsnetzwerk aufzubauen, um den Ausbau der technischen Infrastruktur zu begleiten und auch um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, wie Verleihmodelle und lokale Wertschöpfungsketten für mehr Produktion und Jobs vor Ort.

Um unsere Wirkung in den Gemeinden zu intensivieren, arbeiten wir auch mit lokalen NGOs zusammen, wie zum Beispiel mit der Organisation Kwaho im WASH Bereich. Sie führen unter anderem Hygienetrainings mit Schulen und Vertretern der Gesundheitsbehörde durch.

Ein Netzwerk agiert meistens innovativer und man kann viel voneinander lernen. Gleichzeitig können wir das, was wir in eigener Verantwortung vor Ort erfahren mit unseren Partnern sowie mit den zahlreichen Sozialunternehmern aus unserem globalen Netzwerk, dem empowering people. Network, teilen. Nur so entsteht Fortschritt. Und wir brauchen neue Ideen in der Entwicklungszusammenarbeit.

Was sind die Zukunftspläne von WeTu?

Als erstes konzentrieren wir uns darauf, das Kerngeschäft mit Energie und Wasser, also WePower und WeWater, aufzubauen. Dann wollen wir in der Sparte WeMobility die genannten E-Mobility-Lösungen entwickeln und bis zur lokalen Produktion ausbauen.

Ziel bleibt dabei immer, durch zuverlässige Produkte und hochwertigen Service eine bessere Versorgung für zehntausende Menschen und Familien zu erreichen. Wichtig ist uns auch unser Beitrag zu einem verbesserten Umweltschutz, denn WeTu wird dazu beitragen, die Wasser- und Luftverschmutzung deutlich zu reduzieren.

Wie bieten technische Lösungen an, die dazu geeignet sind, zukünftig in lokaler Produktion gefertigt zu werden. Indem wir die Wertschöpfungsketten zu einem großen Teil vor Ort verlegen wollen, soll eine Vielzahl an neuen Arbeitsplätzen entstehen.

Da wir grundsätzlich mit Partnern zusammenarbeiten, wünschen wir uns in Zukunft eine stärkere Vernetzung mit dem öffentlichen Sektor sowie mit weiteren Organisationen und Unternehmen, die in diesem Bereich Erfahrungen haben und engagiert sind.

Ist die Gründung eines Sozialunternehmens in Kenia für eine deutsche Stiftung ohne weiteres möglich? Wie sind Sie vorgegangen?

Die Siemens Stiftung hat die WE!Hub Victoria Ltd. gegründet und die Grundstücke, Gebäude und technische Infrastruktur des früheren WE!Hub Projekts übernommen. Die finanziellen Mittel zum Kauf und die Anfangsinvestitionen stellte die Siemens Stiftung der WE!Hub Victoria Ltd. als Niedrigzins-Darlehen zur Verfügung.

Wir haben das Modell dieser 100 %igen Stiftungstochter eng mit dem Finanzamt abgestimmt und ebenso die lokalen Behörden und Entscheidungsträger eingebunden. Auch diese für uns neuen Kenntnisse und Erfahrungen werden wir mit anderen Stiftungen, gemeinnützigen Organisationen und Sozialunternehmen teilen. So hoffen wir, die Wirkung im sozialen Sektor über unser eigenes Tun hinaus zu verstärken.

Mai 2019